8. Februar // 13.00 – 13.15
Nadeletuis mit den Figuren des Reformators Melanchthon (1497-1560), einer Bütte-tragenden Tirolerin und eines Tirolers als Jäger
Oberammergau, um 1850/60, Linden- oder Spindelholz, H 10 cm, Melanchthon erworben 2016, Tiroler und Tirolerin Altbestand
In dem schon damals berühmten oberbayerischen Bildhauerdorf Oberammergau stellte man Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur Spielzeug, Kruzifixe, Heiligen- und Krippenfiguren, sondern auch feine Behältnisse her. In Mikroschnitzerei, die sicherlich nur unter Zuhilfenahme von optischen Vergrößerungsgeräten gelang, entstanden aus Linden- oder Spindelholz Miniaturetuis, wie diese kleinen Behälter für Nähnadeln. Zieht man das säulenähnliche Postament am horizontalen Ring auseinander, so erhält man Einblick in das hohle Innere mit dem dort verborgenen Nähwerkzeug. Ganz ungewöhnlich ist jedoch die geschnitzte Figur auf dem Podest, nämlich der neben Martin Luther wichtigste Reformator Philipp Melanchthon (1497-1560). Und das im rechtgläubigen Oberammergau! Man war zwar stockkatholisch, aber doch erstaunlich pragmatisch. Themen und Darstellungen, für die Nachfrage bestand, wurden plastisch umgesetzt, ganz egal, ob es sich um Napoleon oder wichtige Gestalten der Reformation handelt. Vorbild war die von Karl Alexander Heideloff (1789-1865) entworfene und von Jakob Daniel Burgschmiet (1796-1858) 1826 geschaffene Steinskulptur des Philipp-Melanchthon-Denkmals am Egidienplatz in Nürnberg. Tiroler und Tirolerin bedienten eher einen allgemeineren, von Alpenromantik geprägten Geschmack.
Mit Michael Rief
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